Über Lore Perls

„Therapie ist doch selbst eine Kunst. Sie ist viel mehr Kunst als Wissenschaft. Sie erfordert sehr viel Empfindsamkeit und Eingebung, und ihr Blick aufs Ganze birgt eine ganz andere Qualität als der atomistische Ansatz der Assoziationstechnik. Als Künstler geht man ganzheitlich vor. Und als guter Therapeut muss man das auch können.“ (Lore Perls)


Als phänomenologische Anwältin der Gegenwartsmomente steht Lore Perls für die leisen Tiefen im Prozess der schöpferische Anpassung. Ihre K o n z e n t r a t i o n auf das, was ist und was sich zeigt, bezog den Leib als Resonanzboden unserer Wahrnehmung stets mit ein. Lore hatte „Freude daran, mit der Sprache und dem Körper zu experimentieren, insbesondere mit der Atmung und der Körperhaltung“ (Nancy Amendt-Lyon). Sie war eine Akrobatin der körperlichen Gestaltverläufe, eine scharfe Beobachterin der kleinen sinnlich-somatischen Erlebensdetails. Dabei hat sie mit ihrem vorsichtigen und präzisen Stil und ihrer dialogischen Präsenz die Grenzphänomene beforscht. Und gleichsam war ihr die Würdigung des Hintergründigen außerordentlich wichtig. Der Hintergrund ermöglicht den Weg in die Beunruhigung: Lores Credo war, dass Kontakt nur möglich wird, wo genügend Unterstützung vorhanden ist. Und sich die Welt anzuverwandeln, der eigenen vitalen Kraft zu folgen und diese in den kreativen Ausdruck zu bringen, das ICH als Grenzerfahrung zu erleben, die eigenen Grenzen zu expandieren und Freiheit zu kosten – all dies geschieht in „kleinen Schritten, von verdaulichen, integrierbaren Erlebnissen, die einen fließenden therapeutischen Prozess ermöglichen“, so Nancy Amendt-Lyon. Lore Perls sagte hierzu oft: „Wer Stil hat, braucht keine Therapie“. Stil meint hier den eigenen, authentischen und umfassenden Ausdruck.

Lore Perls war eine existenzielle Ästhetikerin und folgte einer dialogisch-philosophischen Therapeutik im Angesicht des Anderen und unserer Sterblichkeit. Das Surfen auf den Polen der menschlichen Existenzialia wie Angst und Mut, Freiheit und Verantwortung braucht nach Lore Perls die dialogische Präsenz und Anerkennung unserer Verletzbarkeit und Angewiesenheit als conditio humana. Damit ist sie wesentlich von Paul Tillich und Martin Buber beeinflusst. Sie hat die Geisteswissenschaften in die Gestalttherapie mitgebracht. Der phänomenologische, existenzphilosophische, bildungsästhetische wie leibbezogener Hintergrund von Lore Perls gibt der Gestalttherapie ihre spezifische erfahrungs- und erlebensorientierte Ausrichtung. Lore Perls selbst bezeichnetet dies als ´Arbeit an der Grenze`.

Denn: An der Grenze zwischen Organismus und Umwelt findet Kontakt statt, der zudem nicht ohne Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu denken ist. Über Austauschprozesse des „sayings“, „doings“ und „feelings“ werden gesellschaftliche Ordnungen mitsamt ihrer normativen Klaviatur einverleibt (embodyment) – auch wenn dies damals in dieser Sprache noch nicht so formulierbar war. Damit ist Therapie stets politisch, wie Lore sagt: „Therapie ist per se eine politische Aktivität“ – „Das ist Arbeit am Menschen, die Autonomie wiederherstellt oder zum ersten Mal entstehen lässt.“ (Lore Perls)

Sie war eine Poetin, Humanistin, Körperpionierin, Künstlerin, Mutter und Frau im Schatten ihres Mannes. Wir möchten Lore Perls und ihrem geistig differenzierten dialogischen Kontakt-Support-Stil einen besonderen Platz geben, ihr Vermächtnis nutzen, es für uns lebendig werden lassen und weiterentwickeln.


„Ein Kunstwerk ist immer die Integration von Bestandteilen, die zuvor andersartig, unterschiedlich und teilweise unverträglich waren, zu einer neuen Ganzheit, in der sie nun einen sinnvollen Platz einnehmen.“ (Lore Perls)